Schule in der Pandemie ??Wir werden einen einheitlichen Rahmen f??r das Abitur finden??

Sch??lerinnen und Sch??ler einer Abschlussklasse in Niedersachsen
Foto: Hauke-Christian Dittrich??/ dpaSPIEGEL: Frau Ernst, am Montag beschloss die Kultusministerkonferenz (KMK) einen Dreistufenplan zur R??ckkehr in den Pr??senzunterricht, am Dienstag einigten sich Kanzlerin Angela Merkel und die Ministerpr??sidenten auf Schulschlie??ungen bis Ende Januar. Am Mittwoch verk??ndete die Bildungsministerin in Baden-W??rttemberg den Start des Pr??senzunterrichts f??r den 18. Januar, in Sachsen dagegen geht es erst am 8. Februar weiter. Zerlegt sich die KMK gerade selbst?
Ernst: De facto ist es doch so, dass die KMK sehr geschlossen auftritt ??? wir wissen, wie wichtig diese Einigkeit gerade jetzt ist. Das pr??gte auch die Sitzung vergangene Woche, in der wir sehr einm??tig diskutiert und einen einstimmigen Beschluss gef??llt haben. Insofern teile ich Ihre Einsch??tzung nicht.

Britta Ernst, SPD, war von 2014 bis 2017 Bildungsministerin in Schleswig-Holstein, seit 2017 ist sie in gleicher Funktion in Brandenburg t??tig. 2021 fungiert sie turnusgem???? als Pr??sidentin der Kultusministerkonferenz. Seit 1998 ist Ernst mit dem SPD-Politiker Olaf Scholz verheiratet.
SPIEGEL: Aber ist dieser Beschluss nicht ziemlich zahnlos, weil konkrete Inzidenzwerte fehlen, ab denen die Ma??nahmen, etwa die Aussetzung des Pr??senzunterrichts, greifen sollen? Sie folgen auch nicht den Empfehlungen des Robert Koch-Instituts (RKI), das sagt: Ab Inzidenz 50 sollten Lerngruppen verkleinert werden.
Ernst: Die KMK hat sich w??hrend des gesamten Lockdowns dagegen gewehrt, Schulschlie??ungen an bestimmte Inzidenzen zu binden. Wir hatten Situationen mit lokalen Hotspots in Alten- und Pflegeheimen, in Krankenh??usern und Schlachtereibetrieben. Die hatten mit Schulen nichts zu tun. Deshalb haben wir immer betont, dass kein Automatismus von einer Inzidenz zu einer Schulschlie??ung f??hren darf. Da herrscht bei uns absolute Einigkeit.
SPIEGEL: Und die RKI-Empfehlungen?
Ernst: Pr??senzunterricht ist auch bei bester Technik durch Distanz- und Wechselformate nicht zu ersetzen. Wenn wir Schulen schlie??en, verlieren wir Sch??lerinnen und Sch??ler, die nicht eigenverantwortlich arbeiten und hinter denen keine Elternh??user stehen. Deshalb sind wir in der Abw??gung zu anderen Entscheidungen als das RKI gekommen ??? einm??tig.
KMK-Pr??sidentin Britta Ernst
SPIEGEL: Von au??en sieht das eher nach Widerspr??chen aus. Ihre Ministerkollegin in Bremen fordert die Eltern auf, ihre Kinder in die Schulen zu schicken, sie ??bernehme die Verantwortung daf??r. Die Bildungsministerin in Schleswig-Holstein dagegen bittet die Kinder kurz vor Weihnachten, nicht in die Schulen zu kommen, obwohl sie da noch ge??ffnet waren.
Ernst: Wenn man genauer hinschaut, dann bewegen wir uns alle im Rahmen der KMK-Beschl??sse. Das war auch im vergangenen Jahr schon so. Da haben wir uns klar verst??ndigt, dass das Abitur durchgef??hrt wird. Und trotz geschlossener Schulen haben wir das erfolgreich organisiert und den Sch??lerinnen und Sch??lern zu einem verdienten Abschluss verholfen. Unterschiede zwischen L??ndern haben meist ihre Ursachen in aktuellen Infektionszahlen oder verschiedenen Ferienzeiten, aber auch im Schulsystem. Mal geht die Grundschule bis zur vierten Klasse, mal bis zur sechsten. Das f??hrt nat??rlich zu unterschiedlichen Strategien ??? alles andere w??re auch falsch.
SPIEGEL: Zumindest bei den Schulabschl??ssen sollte es aber keine Abstriche bei der Einigkeit geben. Trotzdem verk??nden einige L??nder im Alleingang, dass sie die schriftlichen Abschlusspr??fungen beim Mittleren Schulabschluss nach zehn Schuljahren streichen. Warum gibt es da keinen gemeinsamen Beschluss?
Ernst: Da m??ssen Sie schon etwas genauer hinschauen: Der mittlere Abschluss ist l??ngst nicht so normiert wie das Abitur. Es gibt L??nder, die haben ??berhaupt keine Pr??fung beim Mittleren Schulabschluss, andere haben welche. Und denen steht es selbstverst??ndlich frei, unter diesen Rahmenbedingungen zu entscheiden, ob und wie sie pr??fen. Die Ausgangslage beim Mittleren Schulabschluss ist einfach zu heterogen.
SPIEGEL: Hei??t das im Umkehrschluss, dass beim Abitur, wo es einheitliche Standards gibt, die Abschlusspr??fungen 2021 auf gar keinen Fall gestrichen werden?
Ernst: Das werden wir beraten. Ziel ist, dass wir ??? wie im vergangenen Jahr ??? eng zusammenstehen. Das Problem ist, dass wir jetzt, Mitte Januar, noch nicht genau wissen, in welcher Situation die Sch??lerinnen und Sch??ler in den Pr??fungen tats??chlich sein werden. Wir tun im Moment alles, um gute Rahmenbedingungen f??r die Abschlussklassen aufrechtzuerhalten. Diese Sch??lerinnen und Sch??ler kommen als Erste wieder in den Pr??senzunterricht, dar??ber herrscht Einigkeit. Und wir werden, genau wie im letzten Jahr, einen einheitlichen Rahmen f??r das Abitur finden. Die Beratungen dazu haben wir noch nicht final gef??hrt.
SPIEGEL: Sch??lervertreter sind fassungslos. In wenigen Monaten stehen die Pr??fungen an ??? und es herrscht keinerlei Klarheit dar??ber, wie die aussehen werden.
Ernst: Das ist f??r die Sch??lerinnen und Sch??ler wirklich eine schwierige Situation. Aber unsere Linie ist klar: Solange es geht, halten wir an den normalen Rahmenbedingungen fest. Das ist unsere Maxime. Nicht zu wissen, wie es in ein paar Wochen aussieht ??? damit m??ssen wir leider leben, so schwer das auch sein mag. Aber Sie k??nnen sicher sein, dass wir uns auf alle Eventualit??ten vorbereiten ??? auch, wenn wir erst einmal versuchen, am Plan A festzuhalten.
SPIEGEL: Aber es gibt einen Plan B?
Ernst: Es gibt noch keinen endg??ltigen Plan B, es wird aber daran gearbeitet.
SPIEGEL: Und bis wann gibt es den? Wann ist der letztm??gliche Zeitpunkt zu entscheiden: Wir sagen die Pr??fungen ab?
Ernst: Auch das wird beraten. Unser Ziel ist es ja nicht, die Pr??fungen abzusagen. Wir wollen, dass die Sch??lerinnen und Sch??ler ihre Abschl??sse machen k??nnen und keine Nachteile haben, wenn sie sich an den Universit??ten bewerben.
KMK-Pr??sidentin Britta Ernst
SPIEGEL: Man kann den Eindruck gewinnen, Sie klammerten sich an eine Normalit??t, die es nicht mehr geben wird. Blickt die KMK zu wenig auf den Unterricht der Zukunft und zu viel zur??ck in die Zeit vor den Schulschlie??ungen?
Ernst: Nat??rlich w??nschen wir uns Normalit??t im Sinne des Pr??senzunterrichts zur??ck. Die Pandemie hat ja gezeigt, dass das die beste Form des Unterrichtens ist und nur so sichergestellt wird, dass wirklich alle Sch??lerinnen und Sch??ler erreicht werden. Wir haben aber auch gelernt, dass sich bei der Digitalisierung ganz viel bewegen muss.
SPIEGEL: Was konkret?
Ernst: Niemand bestreitet, dass die technische Ausstattung der Schulen zu Beginn der Pandemie nicht so war, wie wir uns das f??r ein modernes Bildungssystem w??nschen. Wir sind in einer Aufholjagd, insbesondere durch den Digitalpakt ??? auch, wenn der noch hier und da stockt. Aber die Pandemie hat beschleunigend gewirkt: Sch??lerinnen und Sch??ler, insbesondere die ??lteren, haben gelernt, eigenverantwortlicher zu arbeiten. Die Lehrkr??fte haben sich unglaublich viel beigebracht und Erfahrungen gesammelt mit dem Distanzlernen. Da sind wir alle zusammen schlauer geworden und werden nach Corona in eine neue Normalit??t mit neuem Pr??senzunterricht gehen. Ich bin sicher: Es wird einen Sprung nach vorne gegeben haben bei den Kompetenzen der Lehrkr??fte und der Sch??lerinnen und Sch??ler.
SPIEGEL: Aktuell sieht es anders aus: Die digitalen Endger??te f??r Lehrkr??fte und die angek??ndigte Bildungsflatrate f??r Sch??lerinnen und Sch??ler lassen weiter auf sich warten, weil es noch keine Bund-L??nder-Vereinbarung gibt. Warum geht das so langsam?
Ernst: Zun??chst einmal finde ich es sehr gut, dass der Bund in der Krisensituation noch mal geschaut hat, wo er finanziell helfen kann. Die Endger??te f??r die Sch??lerinnen und Sch??ler sind auf dem Weg. Die Bescheide sind alle raus. Trotzdem dauert es manchmal eben mehrere Wochen, bis diese Ger??te geliefert werden. Beim Internet-Bildungstarif m??ssen wir noch mal nacharbeiten. Mein Stand ist, dass es ihn gibt, er den Schultr??gern angeboten wird und dort umgesetzt werden m??sste. Daran sehen Sie aber auch, warum es manchmal nicht so rasend schnell geht: Wir m??ssen immer diese Schnittstelle zwischen innerer und ??u??erer Schulverwaltung ber??cksichtigen. Also: Die Schultr??ger sind f??r die Ausstattung zust??ndig und nach unserer Auffassung auch f??r die Endger??te der Lehrkr??fte. Die Bildungsministerien und die Bildungsverwaltung sind f??r den Unterricht und das Personal zust??ndig. Und diese Schnittstelle, die bereitet uns in Deutschland manchmal Probleme.
KMK-Pr??sidentin Britta Ernst
SPIEGEL: Dann k??nnte man ja, wie Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) im SPIEGEL vorgeschlagen hat, eine neue F??deralismusreform in Angriff nehmen. Karliczek hatte als Termin daf??r 2024 vorgeschlagen.
Ernst: Bildungspolitik ist L??ndersache, und das ist gut so. Aber es stimmt, diese Schnittstelle muss betrachtet werden. Und sie muss nicht nur zwischen Bund und L??ndern betrachtet werden, sondern auch zwischen den L??ndern und den Kommunen als Schultr??gern. Dort m??ssen wir zu strukturell anderen Kooperationsbeziehungen kommen. Finanzielle Hilfe des Bundes ist da sehr wichtig und auch willkommen ??? aber auch das muss dauerhaft anders gel??st werden. Denn wenn es sich nur um eine einmalige Unterst??tzung handelt, sind damit l??ngst nicht alle Probleme sofort gel??st. Die Frage ist doch: Wer finanziert dauerhaft die Endger??te f??r die Lehrkr??fte ??? und wer wartet sie?
SPIEGEL: Und? Haben Sie schon eine Antwort?
Ernst: Wir brauchen verbindliche Kooperationen und Verabredungen. Nicht nur f??r den Moment, sondern auf Dauer.
SPIEGEL: Was steht noch auf Ihrer Agenda als KMK-Pr??sidentin?
Ernst: Ich w??nsche mir, dass wir uns in diesem Jahr nicht nur mit Corona-Management besch??ftigen. Es gibt ausreichend andere und wichtige Themen: die st??ndige wissenschaftliche Kommission, die ihre Arbeit aufnimmt; die Frage nach gutem Unterricht in Zeiten der digitalen Transformation. Wir d??rfen nicht aus den Augen verlieren, dass es bei der Bildungspolitik im Kern um guten Unterricht geht, der allen Sch??lerinnen und Sch??lern gerecht wird und der sie individuell bestens f??rdert. Und ich w??nsche mir, dass wir nicht nur ??ber Ausstattungsfragen sprechen, sondern auch dar??ber, wie exzellenter, guter Unterricht mit digitalen Medien besser gestaltet werden kann.
SPIEGEL: Was antworten Sie Eltern, die wissen wollen, wie es n??chste Woche oder n??chsten Monat mit der Schule weitergeht? Die nicht so weit vorausschauen k??nnen oder wollen?
Ernst: Ich wei??, dass die Eltern sehr schwierige Wochen hinter und vor sich haben. Wir tun vieles, um das abzumildern, aber es gibt niemanden, f??r den die Pandemie keine Folgen hat. Das ist ja nicht b??ser Wille der Bildungspolitik, sondern ein nationaler Notstand, in dem wir uns befinden. Damit m??ssen wir umgehen. Wir haben die Bildungswege der Kinder im Blick, aber auch die Betreuungssorgen der Eltern bis hin zu den Lohnersatzleistungen. Nur: Ohne Einschr??nkung geht es im Moment leider nicht.
SPIEGEL: Das klingt nicht sehr ermutigend.
Ernst: Vielleicht hilft es, mal auf die Qualit??t unseres Bildungssystems zu schauen. Viele Lehrkr??fte mussten ja total umdenken und dazulernen ??? und haben das sehr gut gemacht. Trotz der technischen Rahmenbedingungen, die nicht ??berall perfekt waren. Und daf??r, finde ich, haben wir uns alle wacker geschlagen.