Berufsbezeichnungen ??Das Problem ist und bleibt unsere patriarchale Gesellschaft??

??rztin oder Arzt? So beeinflusst Sprache die Jobauswahl
Foto: Mart?? Sans??/ Stocksy UnitedSPIEGEL: Wer in der Onlineausgabe des Duden fr??her nach ????rztin?? suchte, erfuhr nur, dass es sich um die ??weibliche Form von Arzt?? handelt. Jetzt ist gleich zu lesen: ??weibliche Person, die nach Medizinstudium und klinischer Ausbildung die staatliche Zulassung (Approbation) erhalten hat, Kranke zu behandeln??. War es nicht l??ngst ??berf??llig, weiblichen Berufsbezeichnungen ihren eigenen Eintrag zu widmen?
Gabriele Diewald: Berufsbezeichnungen wie ??rztin oder Lehrerin??werden seit 20 Jahren im Online-W??rterbuch des Duden aufgef??hrt. Neu ist, dass die Redaktion 12.000 weibliche Berufsbezeichnungen nach und nach mit eigenen Erl??uterungen ausstattet. Man spart sich also einen Klick.
Ich habe immer wieder Kontakt zur Duden-Redaktion, daher wei?? ich, dass es der explizite Wunsch vieler Nutzerinnen war, das zu ??ndern. Sie wollten nicht, dass einfach auf die M??nner verwiesen wird. Aber es ist auch keine ??berraschung, dass sich Sprachredaktionen im Jahre 2021 um gendergerechte Sprache bem??hen ??? nach 50 Jahren Debatte.
SPIEGEL: Kann Sprache ??berhaupt der Vorreiter sein? Braucht es nicht zun??chst mehr Ober??rztinnen und Polizistinnen ??? dann erst ??ndert sich unsere Sprache???
Diewald: Diese Frage wird oft auch aus strategischen Gr??nden gestellt: Sollten wir nicht lieber daf??r sorgen, dass Frauen alle Chancen haben und dann erst gucken, wie wir sie nennen? Aber so funktioniert gesellschaftlicher Wandel und vor allem Sprachwandel nicht. Sprache l??sst sich nicht separat betrachten, sie ist immer Bestandteil des Prozesses.
Es ist ??brigens schon lange selbstverst??ndlich, dass die Bundesagentur f??r Arbeit f??r ihre Beratung lange Listen mit Berufsfeldern verwendet. Dort sind Tausende Berufsbezeichnungen aufgef??hrt ??? in m??nnlicher und weiblicher Form. Da gibt es einen Glasbl??ser und nat??rlich auch eine Glasbl??serin, einen Fotografenmeister und eine Fotografenmeisterin.
Tests zeigen klare Ergebnisse
SPIEGEL: Welche Auswirkungen auf die Berufswahl junger Frauen hat es, wenn weibliche Formen genutzt werden???
Diewald: Es gibt dazu zahlreiche Untersuchungen, zum Beispiel aus dem psycholinguistischen Bereich oder den Bildungswissenschaften. Solche Tests verlaufen beispielsweise wie folgt: Den Versuchspersonen werden??Aussagen pr??sentiert, die eine Maskulinform enthalten, etwa: ??Die Lehrer der Oberstufe haben Notenkonferenz.????Im Anschluss erscheint ein Satz, der auf????die Lehrer????entweder mit weiblichen oder m??nnlichen Personenbezeichnungen zur??ckverweist ??? also entweder????Heute behandeln die Frauen die schwierigen F??lle????oder????Heute behandeln die M??nner die schwierigen F??lle??.
Die Versuchspersonen m??ssen per Knopfdruck reagieren, sobald sie den Folgesatz verstanden haben. Das Ergebnis: S??tze, die weibliche Personenzeichnungen als Wiederaufnahmen der Maskulinform enthalten, werden immer viel langsamer akzeptiert. Die Versuchspersonen m??ssen sozusagen erst nachdenken, ob wirklich Frauen gemeint sein k??nnten.
Gabriele Diewald
SPIEGEL: Kritiker sagen: ??Beim generischen Maskulinum sind Frauen schon mitgedacht.?? Was entgegnen Sie???
Diewald: Es mag sein, dass viele sich nichts B??ses denken, und wirklich auch Frauen meinen, wenn sie von ??Lehrer?? sprechen. Forschung zeigt??aber immer wieder, dass sich Frauen nicht mit angesprochen f??hlen. Das gilt schon bei Schulkindern, wie eine Studie von 2015 zeigt. Wenn von Menschen mit bestimmten Berufen die Rede ist und diese nur in m??nnlicher Form pr??sentiert werden ??? ??Was denkst du, macht ein Pilot??? statt ??Was denkst du, macht eine Pilotin oder ein Pilot??? ???, k??nnen sich M??dchen nicht mit dieser Rollen identifizieren.
Immer wieder zeigt sich, dass gerade bei Berufsbezeichnungen geschlechtergerechte oder geschlechtersensible Sprache besser abschneidet. Das hei??t: M??dchen und Frauen f??hlen sich eher angesprochen, wenn auch die weibliche Form verwendet wird. Und sie trauen sich vor allem eher zu, diesen Beruf selbst auszuf??hren.
An verschiedenen Stellen ansetzen
SPIEGEL: Klingt nach einer simplen L??sung, um die Berufswahl geschlechtergerechter zu gestalten.
Diewald: Sprache spielt eine wichtige Rolle, aber nat??rlich ist es nicht damit getan. Das Problem ist und bleibt unsere patriarchale Gesellschaft. Es gibt zwei Geschlechter, eines ist wichtiger, eines ist unwichtiger, das ist im Patriarchat die Ordnung. Und die ist noch nicht weg.
Wenn unsere Gesellschaft mehr Chancengleichheit im Beruf erreichen will, m??ssen wir an verschiedenen Stellen ansetzen. Nehmen wir die Schule: Schulb??cher tragen zum Teil Rollenstereotype weiter und st??tzen so die Vorstellung, dass Jungen andere Interessen und Bed??rfnisse haben als M??dchen ??? zum Beispiel, dass Jungen aktiver und weniger empathisch sind.
SPIEGEL: Schulen sind also noch langsamer als der Duden?
Diewald: Das w??rde ich so nicht sagen. Schulbeh??rden haben das Problem erkannt, deshalb tut sich aktuell sehr viel ??? sowohl was die sprachliche, als auch was die bildliche Darstellung in Schulb??chern anbelangt. Aber die Zulassung dauert eben oft eine Weile.
Au??erdem muss ich betonen, dass es stark von einzelnen Lehrerinnen und Lehrern abh??ngt, welche Rollenbilder und Stereotype sie weitertragen ??? oder eben nicht.
SPIEGEL: Wie sieht es an Universit??ten aus?
Diewald: Universit??ten sind nicht so stark an Pl??ne der Kultusministerien gebunden. Sie haben den Vorteil, freier in der Gestaltung der verwendeten Sprache zu sein. Vielen Hochschulen ist au??erdem bewusst, dass Sprache einen Einfluss auf die Berufswahl hat. Wer Studentinnen f??r MINT-F??cher gewinnen will, kann nicht mehr schreiben: ??Als Physiker werden sie auch in der Wirtschaft einen guten Job finden.?? Damit f??hlen sich 17-j??hrige Sch??lerinnen nicht angesprochen.
Gabriele Diewald
SPIEGEL: 17-j??hrige Sch??lerinnen und Sch??ler sind wohl eher schon die Schreibweise ??Physiker*innen?? gewohnt.
Diewald: Das ist auch mein Gef??hl. Junge Menschen diskutieren schon verschiedene Praxen ??? das Gendersternchen, das gro??e Binnen-I, den Doppelpunkt. Ich glaube nicht, dass junge M??nner sich dar??ber aufregen, dass jetzt auch Frauen ihre eigenen Berufsbezeichnungen mit Erl??uterungen im Onlineduden auffinden.
SPIEGEL: Im Oktober formulierte das Justizministerium einen Gesetzestext komplett in weiblicher Form ??? es gab zum Beispiel Gesch??ftsf??hrerinnen. Das Innenministerium hielt das f??r verfassungswidrig.??Der Fall zeigt, wie schwierig es ist, geschlechtergerechte Sprache durchzusetzen.
Diewald: Man muss dazu sagen, dass Rechtssprache noch einmal ganz eigenen Normen unterliegt. Und dennoch gibt es auch unter Juristinnen und Juristen immer wieder Bem??hungen, geschlechtergerecht zu formulieren. In der Vergangenheit hat man zum Beispiel versucht, die Texte der Stra??enverkehrsordnung zu ??ndern. Das hat zu gro??en Protestst??rmen gef??hrt.
Genau diese Diskussionen sind aber n??tig, um den Wandel voranzutreiben. Und sie werden leider noch lange nicht aufh??ren.